MANAGEN DES PARADOXES

ten M = 10 x 1 000 = 10 000

Permanente Wohnsitze und Ackerbau gibt es seit ca. 10 000 Jahre und führen zu einem zivilisatorischen Paradox...

DER  EVOLUTIONÄRE  CODE

Von einem evolutionären Standpunkt aus war der Mensch überaus erfolgreich.
Über die längste Zeit unserer Entwicklungsgeschichte, mussten wir uns der umgebenden Natur anpassen. Aber seit etwa 10 000 Jahren, seit der Sesshaftwerdung, haben wir uns in immer stärkerem Maße von den Zwängen der Natur unabhängig machen können. Diese Entwicklung hat sich in den letzten 100 Jahren noch einmal beschleunigt. Wir schaffen Gebäude, die uns nicht nur vor den Elementen schützen, sondern zu jeder Zeit einen hohen Komfort bieten. Körperliche Anstrengungen werden vermieden, für künstliches Licht und Luft wird gesorgt. Wir haben es also nach einer langen Zeit geschafft, mit einer großen Anzahl von Hilfsmitteln uns von der Natur fast unabhängig zu machen. Das dies nur fast der Fall ist, erweist sich aber zunehmend als Problem.

Man nimmt heute an, dass der Homo sapiens seit ca. 400 000 Jahren existiert. Wo genau die Geschichte des Menschen beginnt, ist aber unmöglich festzustellen. Dies ist im Grunde auch weniger wichtig, da die Ursprünge unsere Entwicklung viel weiter zurückreichen. Auf jeden Fall konnte der Mensch sich unter einer sehr langen Entwicklungszeit seinen Umweltbedingungen optimal anpassen. Das Problem besteht nun darin, dass wir zwar gut an unsere Umwelt angepasst sind, aber diese prägende Umwelt nicht mehr dem entspricht was uns heutzutage umgibt.
Da die Evolution eine lange Zeit braucht, um größere Anpassungen vorzunehmen, entstand ein Widerspruch zwischen unserer biologischen Veranlagung und unserer gestalteten Umwelt. David M. Buss ein Evolutionärpsychologe formulierte es 2008 auf diese Weise: „..., in einer modernen Umwelt tragen wir ein Steinzeitgehirn mit uns herum. In anderen Worten, wir sind ein wandelndes Archiv angestammter Weisheit.“ Daher geraten nun unsere, früher so erfolgreichen, Verhaltensweisen und Mechanismen in Konflikt mit den neuen Voraussetzungen. Man könnte in diesem Zusammenhang von einem Evolutionsparadox sprechen.

Dies bezieht sich nicht nur auf Architektur, sondern auf jeden Bereich unseres Lebens. Eine wachsende Anzahl von Forschungsergebnissen, aus sehr unterschiedlichen Bereichen, legt diesen Schluss nahe. Beteilige Diszipline sind beispielsweise evolutionäre Psychologie, Biologie und Medizin, Kognitive Neurowissenschaft, Verhaltensgenetik, biologische Anthropologie und vor allem die Gehirnforschung. Zum ersten Mal ist es möglich, Forschungsergebnisse aus sehr verschiedenen Forschungszweigen miteinander zu einer kohärenten Theorie zu verbinden. Daher wird dieses neue und erweiterte Verständnis mit Sicherheit in Zukunft eine größere Rolle spielen. Nicht zuletzt in Bezug auf die Gestaltung von Büroarbeitsplätzen.

Für Büroarchitektur gelten keine anderen Maßstäbe als für andere Gebäude, aber eine menschengerechte Gestaltung ist hier aus bestimmten Gründen besonders relevant. Büros sind in den meisten Fällen spezielle Umgebungen, in denen wir besonders oft mit Menschen interagieren, Stress ausgesetzt sind und zudem viel Zeit verbringen. Der dominierende Aspekt eines Büros ist zudem ökonomischer Natur. Wir halten uns dort auf, weil wir dafür belohnt werden und gleichzeitig wird erwartet, dass dort ökonomische Werte entstehen. Die persönlichen Risikofaktoren Stress, ein komplexes Sozialgefüge und die zumindest teilweise Unfreiwilligkeit des Aufenthalts im Büro tragen nicht zum Wohlbefinden der Mitarbeiter bei. Berücksichtigt man, dass die meisten Büroräume nicht unseren evolutionären Bedürfnissen entsprechen, ergibt sich ein recht düsteres Bild. Die Folge davon ist oft ein beeinträchtigtes Leistungsvermögen, gerade an dem Ort, an dem dieses am meisten gefordert ist.

Aus diesen problematischen Aspekten ergeben sich aber auch große Potentiale für Verbesserungen.
Dies gilt sowohl im individuellen Bereich bezüglich Gesundheit, Wohlbefinden und Zufriedenheit, als auch bezogen auf eine bessere Leistung des gesamten Unternehmens.   Kurz gefasst geht es darum das oben genannte Paradox so weit wie möglich aufzulösen. Wir sind für ein Leben in der Natur geschaffen, wollen aber verständlicherweise nicht auf die Annehmlichkeiten unserer Gebäude verzichten. Es muss also versucht werden, die natürliche Außenwelt und ihre Qualitäten ins Innere zu holen. Es geht um die Imitation und Integration unserer natürlichen und angestammten Umwelt in unsere künstliche Umgebung. Anzustreben wäre eine Kombination, im besten Fall auch Fusion, von Natur und Kultur bzw. Architektur.

Für den architektonische Entwurf ist die Einbeziehung einer breiten wissenschaftlichen Grundlage eine große Chance, an Relevanz hinzuzugewinnen. Der künstlerische, subjektive Aspekt wird zwar nicht verdrängt, aber durch eine neue Dimension ergänzt. Entstand Architektur bisher nur im Spannungsverhältnis von Funktion, Ästhetik und Kosten, so wird nun ein bisher unentdeckter Mehrwert hinzugefügt. Es handelt sich nicht um eine Negierung der bisherigen zivilisatorischen Errungenschaften, sondern um deren Weiterentwicklung.

Um die Wirkungszusammenhänge zu verstehen, lohnt es sich die Funktion unseres Gehirns zu beachten. Es ist darauf ausgelegt, ständig unsere Umwelt zu analysieren und darauf zu reagieren. Dies ist evolutionär bedingt und vor allem im Hirnstamm veranlagt, der auch als „Reptile Brain“ bezeichnet wird. Die Benennung bezieht sich darauf, dass man davon ausgeht, dass die Struktur diese Gehirnteils ca. 500 Millionen Jahre alt ist. Reize werden hier sehr energieeffektiv und schnell verarbeitet. Innerhalb von 0,3 Sekunden findet eine „Einschätzung“ der Lage statt. Dieser Mechanismus kann nicht unterdrückt oder ausgeschaltet werden. Er wird aber vielfach durch unseren rational und denken Teil des Gehirns, dem Cortex, ignoriert und überformt. Dieser Teil entspricht dem genauen Gegenteil des vorigen. Es ist „nur“ ca. 3 bis 4 Millionen Jahre alt, langsam und energieintensiv, aber vor allem stellt er unser Bewusstsein da. Auch wenn wir überwiegend annehmen, dass wir uns rational verhalten, so ist doch ein sehr großer Teil unserer Handlungen von unserem Unterbewusstsein beeinflusst. Dies war unter den Bedingungen unserer langen Entwicklung eine sehr erfolgreiche Art zu überleben. Es ist wichtig diesen Zusammenhang zu verstehen, um Verhaltensweisen richtig zu deuten und mentale Bedürfnisse richtig einschätzen zu können.

Dieser Umstand wird bereits seit einiger Zeit im Marketing und der Gestaltung von Handelsflächen genutzt. Methoden wir Priming, Framing und Nudging bauen darauf auf. Bisher ist die Anwendung aber auf wenige Bereiche beschränkt und findet im Bürobau keine Anwendung, obwohl dies sehr sinnvoll wäre.
Suchen